10 Unworte des Alltags

Thorsten Lieder
3 min readDec 17, 2020

Sind Sie auch schon mal darüber gestolpert, welch sonderliche Begrifflichkeiten uns selbstverständlich umgeben?

Ein paar Beispiele…

Hobby /Ehrenamt: Ist beides in etwa gleich gemeint. Wird allgemein nicht als „Arbeit“ anerkannt (siehe auch „arbeits“-los). Sollte jemand seiner Berufung (daher der Begriff “Beruf”) folgen und nicht die Möglichkeit sehen, diese Tätigkeiten zu monetarisieren, wird diese Wesen(!)-tliche (und nicht selten hochkreative, innovative und/oder soziale) Arbeit “Hobby” genannt. Und wenn noch “Ehrenamt” davorsteht, folgt daraus üblicherweise, dass sich daraus keinerlei Anspruch auf Anerkennung in irgendeiner Form ableiten lässt (es sei denn, der Bundespräsident „würdigt ‘Das Ehrenamt’“)

„Frei“-Zeit: Wie lautet denn die „andere“ Zeit als die „freie“ Zeit? „Gefangenen“-Zeit? Wird die „freie“ Zeit gesondert herausgehoben, weil die „andere“ Zeit als „Standard“ zu gelten hat?
Für mich gibt es lediglich eine Zeit: Die „Lebenszeit“.

Urlaub: Ähnlich wie „frei“-Zeit.
Bedeutet: Ich erhalte die „Gnade der Erlaubnis“ mich außerhalb des unternehmerischen oder behördlichen Umfelds zu bewegen, mir wird aber zum „Ziel“ auferlegt, dass ich diese Zeit im Sinne der Aufbereitung meiner Arbeitsfähigkeit zu nutzen habe. Also: Allgemein anerknannter Begriff zur individuellen Unfreiheit.
Voraussetzung hierzu ist die Festanstellung als gesellschaftlicher Standard (siehe auch weiter unten: Solo-Selbständige)

Eine Kolumne dazu: https://medium.com/@ThorstenLieder/wo-bitte-liegt-urlaub-ebd744a3a035

Arbeitgeber/Arbeitnehmer: Seit der Industrialisierung eine klassische Verwechselung:
Wer seine/ihre Arbeit gibt ist der „eigentlichen“ Bedeutung nach der Arbeit-Geber bzw. die Arbeit-Geberin, und wer die Arbeit nimmt, ist folglich der Nehmer / die Nehmerin der Arbeit.
Warum diese Begriffe aber genau im umgekehrten Verhältnis gesellschaftlich verwendet (und anerkannt!) werden — übrigens auch gerne von Gewerkschaften aller Couleur, und somit die „Wirklichkeit“ zur Wahrheit um modellieren, liegt wohl auf der Hand. Schließlich ist in der allgemeinen Wahrnehmung “geben” seliger als “nehmen”.

Arbeitslos: Ich bin noch nie einem „Arbeits“-losen begegnet. Ausnahmslos jede/r hat zu tun, bringt sich ein, kümmert sich um jemanden oder um irgendetwas, ist sozial involviert oder was auch immer, nur nicht in jedem Fall bezahlt. Besser: Erwerbslos.

(c) Thorsten Lieder — Reincarnation Hannover 1998
pre-social-distancing

Beschäftige: Klingt sehr nach Therapie. Beschäftigungstherapie in Beschäftigungseinrichtungen im Beschäftigungsverhältnis (siehe auch “Arbeitnehmer”). Dieser Begriff deutet auf die Entfremdung der eigenen Tätigkeit hin: “Deine Arbeit gehört mir, Du bist hier nur beschäftigt.”

Foto:Privat: Häufig zu sehen im beruflichen Kontext oder in Business-Netzwerken. Warum eigentlich “Privat”? Ist das ein Warn-Hinweis, dass die abgebildete Person irgendwie entspannt wirkt? Der Hinweis “Foto:Beruflich” ist mir noch nicht aufgefallen. Übrigens ist die abgebildete Person beruflich als auch privat doch die selbe Person. Folglich kann der Hinweis “privat” doch enftallen. “Foto” würde also reichen. Da es aber erkennbar ist, dass es sich offenbar um ein Foto handelt, ist auch dieser Hinweis obsolet. Name der abgebildeten Person reicht also auch.

Social Distancing: Seit 2020 neu dabei. Ist als „räumliche“ Distanzierung gemeint, bedeutet aber dem Wort nach „soziale“ Distanz und im Umgangssprachlichen „Kein Bezug zu Personen“.
Also: Aufruf zur Vereinzelung und Vereinsamung.

Frisches Geld: Typisch Neusprech. An diesem Geld ist nichts „frisch“, es wird ja nicht „frisch gedruckt“ sondern besagt: Neue Schulden
(-> siehe auch https://neusprech.org/frisches-geld)

„Solo“-Selbständige: Warum „solo“? Selbständige sind in aller Regel unternehmerisch selbständig. Solo-Selbständige werden diejenigen genannt, die nicht der „Staatsreligion Festanstellung“ entsprechen (siehe hierzu auch die oberen Begriffe)
Vielen Dank an Sascha Lobo für seine Inspiration und seinen Beitrag hierzu: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-hilfen-der-deutsche-staat-verachtet-selbststaendige-kolumne-a-49d0ce81-8b0b-4ee7-ada1-5a6f38382ea9)

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Thorsten Lieder

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